Agile Transformation in der Produktion: Erfahrungen und Einsichten aus der Praxis
Agile Methoden jenseits der IT: Warum das Thema relevant ist
In dieser besonderen Episode des agilophil Podcasts beleuchte ich ein Beispiel aus der Praxis: Die agile Transformation in einem produzierenden Unternehmen der Automobilzulieferbranche. Im Gespräch mit einem erfahrenen Transformationsmanager wurde deutlich, welche Herausforderungen, Chancen und strategischen Fragen mit der Anwendung agiler Methoden in der Industrie verbunden sind. Besonders interessant: Wie lässt sich ein Framework wie Scrum in einer Fabrikumgebung etablieren, die traditionell von festen Abläufen und hierarchischen Strukturen geprägt ist?
Disclaimer: wir haben in der Aufnahmesession vereinbart, weder den Namen meines Interviewpartners, noch den Namen des Unternehmens zu nennen. Als Ergebnis heraus kam ein besonders ehrliches und offenes Gespräch das an vielen Stellen nachdenklich stimmt.
Der Auslöser: Disruption und Marktveränderungen als Katalysator
Der agile Wandel begann nicht aus Neugierde an Methoden, sondern aus Notwendigkeit. Immer kürzere Entscheidungszyklen, tiefgreifende Marktveränderungen und wiederholte Disruptionen zwangen das Unternehmen dazu, flexibler und reaktionsfähiger zu werden. Die bisherigen Strukturen – stark hierarchisch, träge und top-down organisiert – erwiesen sich als nicht mehr zukunftsfähig. Der Gedanke: Nur wer schneller auf Veränderung reagieren kann, bleibt wettbewerbsfähig.
Scrum als Einstiegspunkt: Nicht perfekt, aber praktikabel
Der Einstieg ins agile Arbeiten erfolgte über Scrum. Zwar wurde das Framework bereits vor Eintritt des Transformationsmanagers eingeführt, doch die Umsetzung musste im laufenden Prozess angepasst und weiterentwickelt werden. Wichtig war dabei, Scrum nicht als Dogma zu betrachten, sondern als Ausgangspunkt für eigene Wege.
Interessant: Die Anwendung von Scrum „out of the book“ erwies sich in der Produktion als schwierig. Es bedurfte Anpassungen, sowohl hinsichtlich der Sprintlängen als auch der Events. Zweiwöchige Sprints stellten sich als sinnvoll heraus, doch viele Teams wollten anfangs längere Zyklen. Hier zeigte sich die Balance zwischen Teamautonomie und organisatorischen Leitplanken als kritischer Erfolgsfaktor.
Kulturelle Unterschiede und Mindset als entscheidende Faktoren
Ein bemerkenswerter Punkt des Interviews war der historische und kulturelle Kontext agiler Prinzipien. Die Wurzeln von Scrum liegen weniger in der IT als vielmehr in der japanischen Lean-Produktion. Dort waren schon in den 1950er Jahren selbstorganisierte, motivierte Teams der Erfolgsfaktor – etwas, das im Westen aufgrund einer stärkeren Individualitätskultur schwerer umzusetzen ist.
Hier zeigt sich: Agilität ist kein Set von Tools, sondern eine Denkweise. Und diese Denkweise trifft auf kulturelle und organisationale Realitäten, die sich nicht über Nacht ändern lassen. Besonders in etablierten Industrien mit langjährigen Belegschaften ist die Umstellung auf selbstorganisiertes Arbeiten eine Herausforderung.
Ernüchterung und Neuausrichtung: Der Weg zum hybriden Ansatz?
Die anfängliche Euphorie, dass Scrum alle Probleme lösen könne, wich in vielen Bereichen einer gewissen Ernüchterung. Die erhofften Produktivitätssprünge blieben vielfach aus. Stattdessen stellte sich die Frage, wie eine Kombination aus klassischem Projektmanagement und agilen Elementen aussehen könnte. Der Trend geht in Richtung hybrider Ansätze, bei denen Bewährtes mit Neuem kombiniert wird. Diese Entwicklung ist nicht als Rückschritt, sondern als Reflexion der Realität zu verstehen: Agilität muss zum Kontext passen.
Die größte Herausforderung: Der Umgang mit Unsicherheit
Eine zentrale Erkenntnis der Episode: Die moderne Wirtschaft ist von Unsicherheit und Komplexität geprägt. Viele Entscheidungen sind heute nicht mehr eindeutig ableitbar. Der offen ausgesprochene Satz „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ wurde zum Leitmotiv. Diese Ehrlichkeit ist nicht immer leicht, aber sie schafft eine realistische Grundlage für die Zukunftsgestaltung.
Dabei geht es nicht darum, keine Strategie zu haben, sondern darum, sich auf kontinuierliches Lernen und Anpassung einzulassen. Die agilen Prinzipien Transparenz, Inspect und Adapt sind hier entscheidender denn je. Der Mut zur Offenheit ist ein Zeichen von Kompetenz, nicht von Schwäche.
Wie geht es weiter? Perspektiven und offene Fragen
Aktuell herrscht Unsicherheit darüber, wie es im konkreten Fall weitergeht. Die Unternehmensleitung hat noch keine klare Richtung vorgegeben. Die Diskussion über hybride Modelle, über die Rolle von Teams und über neue Formen der Zusammenarbeit ist in vollem Gange. Klar ist jedoch: Die Auseinandersetzung mit agilen Prinzipien hat einen Prozess in Gang gesetzt, der nicht mehr umkehrbar ist.
Auch wenn der Weg unklar ist, so sind doch viele Impulse gesetzt worden, die über das konkrete Framework hinausreichen. Die Frage nach menschenzentrierter Führung, der Rolle von Servant Leadership und der Umgang mit Unsicherheit sind Themen, die bleiben werden – mit oder ohne Scrum.
Fazit: Kein Masterplan, aber viele wertvolle Erkenntnisse
Diese Episode zeigt: Agil arbeiten in der Produktion ist möglich, aber kein Selbstläufer. Es braucht Anpassung, Geduld, Offenheit und vor allem ein agiles Mindset, das Unsicherheit nicht als Problem, sondern als Ausgangspunkt für Entwicklung versteht. Der Weg mag nicht gradlinig sein, aber er führt zu einer zukunftsfähigen, lernenden Organisation. Gerade in einer Branche, die von disruptiven Veränderungen betroffen ist, ist Mut zum Neuen aber unerlässlich. Ein Unternehmen, das absehbar in Probleme schlittert, muss den Mut haben sich zu verändern. Das geht nur Offenheit, Mut, Fokus, Commitment und Respekt. Da wären sie wieder, die agilen Werte…
Weiterführende Links:
Viel Spaß bei dieser enthüllenden Folge.
Dein agilophiler
Frank
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